Sonntagsfrage in Sachsen und Thüringen. Die Bonner Republik endet heute. Denn erstmals seit der Nazi-Zeit gewinnen Rechtsextremisten in Thüringen die Wahl zum Landtag. Die AfD legt damit auch ihre Rolle als Protestpartei ab. Als kleine Randnotiz zieht Spitzenkandidat Höcke nicht über ein Direktmandat in den Landtag in Erfurt ein sondern über seinen Listenplatz 1.
Die Bonner Republik endet, weil ich sie nicht als räumliche Bindung der Hauptstadt bundesdeutscher Politik sehe, die mit der Wiedervereinigung nach Berlin umzog, sondern als Geisteshaltung vorwiegend west-deutscher Politiker, die der Auffassung waren, den Osten integrieren zu können. Integration funktioniert in Deutschland nicht. Nicht einmal mit Deutschen.
Das ostdeutsche Parteiensystem koppelt sich zunehmend ab. Die Wurzeln dieser Entfremdung reichen tief, analysierte neulich taz.de. 35 Jahre nach dem Mauerfall endet das (im Westen) etablierte Parteisystem mit zwei vergleichsweise großen Parteien und einer dritten, wechselnden als Mehrheitsbeschaffer:in.
Die niedrige Wahlbeteiligung der Vergangenheit hat verdeckt, dass die etablierten Parteien jenseits der CDU nur scheinbar stark waren. Ein Ergebnis von 28 Prozent bei einer früher typisch ostdeutschen Wahlbeteiligung von um die 50 Prozent sagte wenig aus über den realen Rückhalt in der Gesamtheit der Wahlberechtigten.
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Und nun – mit deutlich höherer Wahlbeteiligung wählen in Thüringen fast 33 Prozent und in Sachsen 31 Prozent die rechtsextremistischen Verfassungsfeinde von der AfD, gegründet vor elf Jahren. Alternative für Deutschland, weil bei der Ostdeutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vieles argumentativ alternativlos war. Dabei wird es nun alternativlos, in Thüringen eine Koalition um die AfD herum zu bilden, denn mit ihrer Sperrminorität kann sie im Landtag alle Vorhaben blockieren, die die Verfassung des Landes und seine Gerichte betreffen.
Und zusätzlich tritt mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht eine neue Partei auf, die sich aus der Die Linke abspaltete. In Sachsen aus dem Stand auf fast 12 Prozent und in Thüringen 15,6 Prozent. Die Partei bindet Wähler:innen, denen die AfD zu radikal ist und die CDU zu bieder. Dazu kommen noch die Putin-Versteher, die es in west-deutsch geprägten Parteien CDU, Grüne und FDP sowie in Teilen auch der SPD jenseits der Gaz-Prominenz nicht gibt.
In dieser neuen Sieben-Parteien-Landschaft sind jedoch keine Bündnisse mehr möglich, die die Akteure nicht zuvor ausgeschlossen hätten. Einzig die AfD zeigt sich offen für die Braun-schwarze Haselnuss-Koalition mit der CDU, die ihrerseits nicht mit AfD, Linken und BSW zusammenarbeiten will. In Thüringen kommen die in Berlin regierenden Koalitionäre zusammen auf 10,4 Prozent. Allerdings werden Grüne und FDP nicht mehr ins Parlament einziehen.
In Sachsen und Thüringen werden die Wahlsieger Michael Kretschmer (CDU) und Björn Höcke (AfD) ihre Schwierigkeiten einer Regierungsbildung haben. Kommissarisch bleibt die alte Regierung im Amt und dann kann die Bundesregierung über den Bundeszwang nach Artikel 37 des Grundgesetzes die Zustimmung im Bundesrat einfordern, um Sachsen und Thüringen aus Berlin heraus zu regieren. Was auch immer passieren wird, mit der biederen Bonner Gemütlichkeit ist es vorbei.