Betatest: Photoshop 6 Auf der Seybold in San Francisco kündigte Adobe nun offiziell an, was in den vergangenen Wochen unter dem Codenamen "Venus in Furs" durch die Online-Gerüchteküche geisterte: die Version 6.0 ihres Bildbearbeitungsklassiker Photoshop. Zum zehnjährigen Jubiläum hat Adobe ihrem erfolgreichsten Pferd im Stall zahlreiche moderne Funktionen spendiert, die eine Menge guter Eigenschaften der jüngeren Mitglieder aus Adobes Softwarefamilie aufgreifen. Besondere Highlights sind dabei erweiterte Vektor- und Schriftfunktionen, eine neu überdachte Ebenenverwaltung und zusätzliche Web-Publishing-Funktionen.
Vektor und Text.
Ab Version 6.0 ist Photoshop nicht mehr nur Bildbearbeitung: Neben den bislang rein pixelorientierten Funktionen gibt es zahlreiche Vektorfunktionen für Grafiken und Text, die an Illustrator erinnern. Die Kanten der in Photoshop erzeugten Vektorobjekte bleiben auch noch bei der Ausgabe gestochen scharf – sofern ein PostScript-Ausgabegerät zur Verfügung steht.
Die neuen Vektortools erzeugen geometrische Formen wie Rechtecke (auch mit abgerundeten Ecken), Ellipsen, Polygone und Linien. Boolesche Operationen dienen zur Kombination von Formen zu komplexen Umrissen – die sich auch in einer Bibliothek speichern und an andere weitergeben lassen. Zur Glättung und Vereinfachung komplizierter Pfade steht übrigens ein Werkzeug ähnlich dem aus Illustrator bekannten Tool zur Verfügung. Auch für Maskierungen lassen sich die Vektorpfade als so genannte Ebenenmasken einsetzen.
Deutlich verändert hat sich auch der Umgang mit Schrift. Schon beim Aktivieren des Textwerkzeuges fällt auf, dass der lästige Editor weggefallen ist. Man darf jetzt direkt auf dem Bild schreiben. Der Text erhält eine eigene Ebene und wird im Vektorformat aufbewahrt.
Neben der Tatsache, dass Typo nun nicht mehr gerastert werden muss und auch nach diversen Verzerrungen weiter editierbar bleibt, sind auch die neuen Formatierungsmöglichkeiten praktisch. So kann man jetzt für jeden einzelnen Buchstaben Farbe und Zeichensatz bestimmen und Formatierungen absatzweise durchführen. In der englischen Version gibt es sogar eine Silbentrennung. Die auf Wunsch aktivierbare mehrzeilige Satzglättung ist eine Errungenschaft, die einigen bereits aus InDesign bekannt ist.
Neuorganisation der Ebenen.
Die in Version 4.0 eingeführten Ebenen waren zweifellos ein deutlicher Sprung nach vorne. Jetzt hat Adobe das Ganze noch logischer und übersichtlicher gestaltet. So lassen sich die auf einer Einstellungsebene aufgelisteten Effekte innerhalb der Ebenenpalette von einer in die andere Ebene verschieben und modifizieren, ohne neue Ebenen anlegen oder alte löschen zu müssen. Der Übersicht halber kann man die Ebenen auch gruppieren und sperren.
In neuartigen Ebenen-Stilvorlagen lassen sich Effekte bündeln und in einer eigenen Palette *bereitstellen. Man kann ein solches Effektbündel beispielsweise zusammen mit einem der Vektorzeichenwerkzeuge einsetzen – das dann gleich die definierten Effekte übernimmt. Auch die Zahl der möglichen Ebenen ist gestiegen. War bisher die Anzahl auf 99 beschränkt, wird jetzt die Menge durch den zur Verfügung stehenden Arbeitsspeicher begrenzt.
Ins Web.
Als dritten Schwerpunkt für die Umgestaltung hat Adobe den Bereich Online-Publishing auserkoren. Dabei übernimmt die im Lieferumfang enthaltene Software ImageReady 3.0 den Hauptteil der Arbeit. Aber auch in Photoshop kann man neuerdings das Slicing komplexer Bilder vornehmen, also diese in passende Stücke zerlegen und anschließend in einer HTML-Tabelle eingebettet exportieren.
In ImageReady 3.0 gibt es noch weitere nützliche Funktionen. So ist es möglich, zusätzlich zur schon länger vorhandenen Vorschau der Kompressionseinstellungen auch die Kompression und das Dithering verschiedener Bildteile separat für ausgewählte Bildbereiche zu bestimmen. Dadurch erhält man die wichtigen Bereiche in ausreichender Qualität, muss aber dennoch keine allzu großen Datenmenge online transportieren.
Interface für Einsteiger.
Adobe hat sich ferner zum Ziel gesetzt, die umfangreiche Software auch für Einsteiger durchschaubar zu gestalten. Zum Beispiel sind die Werkzeugoptionen weniger versteckt als bisher untergebracht: Die relevanten Einstellungen des aktivierten Werkzeuges erscheinen oben in einer neuen kontextsensitiven Menüleiste. Zusätzlich helfen auch mehr kleine Erklärungen bei Einstellungen und Wahl der Werkzeuge weiter. Für mehr Platz auf kleinen Bildschirmen kann der Anwender auch die Paletten als Reiter oben an der Menüleiste verstauen.
Familienerbe.
Neben den Vektorfunktionen aus Illustrator und den Textwerkzeugen aus InDesign hat Adobe Photoshop 6 noch mehr Familienerbe angedeihen lassen. Zum Beispiel entspricht das Farbmanagement dem von Illustrator 9. Es bietet erweiterte Profileinstellungen, leichteren Zugriff auf die europäische Variante des CMYK-Standards, ausschaltbares Farbmanagement, selbst definierbare Einstellungs-Sets und erweiterte Optionen für den Bildschirmproof.
Wie Illustrator 9 unterstützt Photoshop 6 PDF in der aktuellen Version 1.3 – mit Transparenz, Sonder- und Duplexfarbe. Im PDF lassen sich übrigens bei Bedarf auch die Photoshop-Ebenen erhalten. Auch Anmerkungen für die PDF-Datei kann der Anwender bereits vor dem Export in Photoshop generieren und nach Bedarf mit ex- und importieren. Der PDF-Export ist übrigens auch die einzige Möglichkeit, die neuen Text- und Grafikelemente als scharfkantige Vektorobjekte zu bewahren, falls man über kein PostScript-Ausgabegerät verfügt.
Und mehr.
Neben den genannten gewichtigen Neuerungen hat Adobe noch eine Menge kleinerer Veränderungen implementiert. So gibt es beispielsweise eine neue Funktion namens "Extrahieren", mir der sich Objekte besser freistellen lassen. Ein ganzes Bündel neuer Effekte eröffnet das Fenster "Liquify", mit denen sich Bilder grob verzerren oder fein retuschieren lassen (Abbildung 4). Dabei kann man Bereiche maskieren und aussparen.
Bei der Druck-Ausgabe hilft eine erweiterte Druckvorschau, die das komplette Dokument inklusive Beschnitt- und Registermarken zeigt. In der Aktionen-Paletten kann man jetzt auch Werkzeug- und Druckeinstellungen aufzuzeichnen. Außerdem hat Adobe die überflüssige und verwirrende Trennung zwischen den Befehlen "Speichern unter" und "Kopie speichern unter" aufgehoben, sodass der Anwender nun ohne Umwege in Photoshop-fremden Formaten speichern darf. Durch das Ein- und Auschecken von Daten auf WebDAV-Servern ist darüber hinaus die Gruppenarbeit mit Photoshop besser organisierbar.
Fazit.
Neue Funktionen bietet das neue Photoshop wahrlich viele. Ob Einsteiger, oder Profi, Print- oder Online-Gestalter – für jeden müsste etwas dabei sein.
Eindrucksvoll ist die Integration von Vektorgrafik und -Text, denn sie erweitert den Einsatzbereich der Software erheblich. Solche Werkzeuge haben sich viele Anwender schon lange von Photoshop erhofft. Der Einbau dieser Fähigkeiten ins an sich pixelbasierte Programm dürfte trotz der aus Illustrator und InDesign vorliegenden Bibliotheken kein Kinderspiel gewesen sein. Auch der übersichtlichere Ebenenaufbau und die Ebenenformate werden wohl grundsätzlich die Arbeit erleichtern. Ansonsten ist es eher eine Frage des Geschmacks oder der jeweiligen Profession, ob man nun Slicing von Bildern für den Einsatz im Web, Bildveränderungen mit den Liquify-Effekten oder ein überarbeitetes Farbmanagement für nützlicher hält.
Sobald die finale Photoshop-Version vorliegt, werden wir natürlich von der Prraxistauglichkeit der neuen Funktionen berichten.
Weiterführende Informationen
Adobe