Neue Klasse. Das iPad erfüllt im Praxistest nicht alle Wünsche, doch erstaunlich viele. Die Schlangen vor dem New Yorker Apple-Store in der 5th Avenue waren diesmal noch länger als beim Verkaufsstart des ersten iPhone. Einheimische Apple-Fans und Touristen hatten sich am Samstag vor Ostern vor dem überdimensionalen Glaswürfel eingefunden, um beim Marktstart des ersten Apple-Tablet-Computers, dem iPad, dabei zu sein. Und die wenigsten dürften den Kauf bereut haben. Zumindest hinterließ das iPad im Praxistest einen exzellenten Eindruck, auch wenn nicht alle Werbeversprechungen von Apple erfüllt werden.
Erster Eindruck
Wenn man das iPad zum ersten Mal in der Hand hält, kommt es einem etwas schwerer vor als vermutet. Immerhin wiegt die Wundertafel mit dem Apfel-Logo 680 Gramm. Doch an dem breiten Rand des Displays kann man das Gerät gut halten, ohne aus Versehen auf dem berührungssensitiven Bildschirm ungewollt eine Aktion auszulösen. Am bequemsten hält man das iPad im Sitzen auf den Beinen. Im Gegensatz zu einem normalen Laptop muss man dabei auch nicht befürchten, dass man sich den Schoß verbrennt, denn das iPad bleibt auch nach stundenlangem Gebrauch im wahrsten Sinne ganz „cool“.
Im Praxistest überzeugt vor allem das Touchdisplay. Es reagiert blitzschnell auf die Eingaben mit dem Finger und hakt nicht. Es bietet mit 1024 x 768 Pixeln eine XGA-Auslösung, die im direkten Vergleich zum iPhone oder iPod touch geradezu riesig wirkt. Der beschichtete Bildschirm spiegelt im Hellen deutlich. Dafür kommen in einer Umgebung ohne direkte Sonneneinstrahlung die Farben des Displays um so besser zur Geltung.
Film-Freunde werden bedauern, dass Apple sich beim iPad-Bildschirm für ein 4:3-Seitenverhältnis entschieden hat. Das sorgt bei Kinofilmen und bei den üblichen HDTV-Sendungen im Fernsehen im 16:9-Breitwandformat für schwarze Streifen am oberen und unteren Bildrand. Dafür bekommt man beim Surfen im Web, bei der Anwendung „Karten“ und anderen iPad-Apps ein optimales Bildseitenverhältnis.
Virtuelle Tastatur
Die zweite positive Überraschung: Die virtuelle Tastatur auf dem iPad ist wirklich brauchbar. Insbesondere im Quermodus kann man erstaunliche Geschwindigkeiten darauf erzielen, wie man in einzelnen Filmen auf YouTube eindrucksvoll sehen kann.
Auch bei der Umsetzung der Besonderheiten der deutschen Sprache haben die Apple-Programmierer nachgedacht und eine bessere Lösung gefunden als beim iPhone. Will man beispielsweise einen Umlaut „ü“ auf dem iPhone schreiben, muss man mit dem Finger lange auf „u“ drücken. Dann erscheinen links von dem Vokal verschiedene Umlaut- und Akzent-Varianten (ú, ù, û und ü), die man dann präzise mit dem Finger ansteuern muss. Beim iPad ist das alles viel einfacher. Hat man die deutsche Tastatur ausgewählt, ahnt das Gerät schon, dass man vermutlich das „ü“ tippen möchte. Dafür muss man den Finger nicht mehr nach links bewegen, sondern einfach nur etwas länger gedrückt halten. Wenn man doch einen der seltener vorkommenden Buchstaben (ú, ù, û) tippen möchte, rutscht man wie bei iPhone mit dem Finger nach links, um den richtigen Buchstaben auszuwählen. Damit schafft man es, auch längere E-Mails flüssig zu schreiben, ohne dass man auf die korrekten Umlaute verzichtet.
Akku
Beeindruckend ist auch die Leistung des Akkus. Apple gibt für das iPad eine Laufzeit von zehn Stunden an. In unserem Test ging dem iPad jedoch erst nach über elf Stunden intensiver Nutzung (Video abspielen, Video-Games spielen, gleichzeitig via WiFi mit dem Internet verbunden) der Saft aus. Im Vergleich zum Laptop, der häufig schon nach zwei Stunden schlapp macht, erzielt hier das iPad seine Punkte. Wer unterwegs vor allem seine E-Mail abfragen und sie auf einem größeren Bildschirm als dem iPhone bearbeiten möchte, findet im iPad eine echte Notebook-Alternative. Auch auf einer langen Flugreise wird das iPad seine Besitzer erfreuen, die sich mit dem Apple-Tablet vom Inflight-Entertainment der Fluggesellschaft komplett unabhängig machen können.
Videos
Videos in beeindruckender Qualität bringt nicht nur die gleichnamige iPad-Anwendung (via iTunes) auf den Bildschirm. Auch die HD-Filme in YouTube sehen auf dem iPad knackig scharf aus. Zum Ausprobieren empfehlen wir den Kurz-Comicfilm „Pigeon Impossible“ von Lucas Martell. Mit den unscharfen Wackelvideos vergangener Tage hat das nichts mehr gemein.
Wie cool wäre erst die Kombination des iPad-Bildschirm mit einer kleinen eingebauten Videokamera gewesen? Doch Skypen auf dem iPad wird zumindest als Videokonferenz vorerst ein unerfüllter Traum bleiben, da Apple auf den Einbau der Optik verzichtet hat. Auch der Apple-Service Mobile Me mit iChat hätte enorm von einer Kamera im iPad profitiert.
Karten-App
Ein positives Aha-Erlebnis bereitet dagegen die Karten-App auf dem iPad. Allein die schiere Größe des iPad-Bildschirm macht die Anwendung viel attraktiver als auf dem iPhone. Neu ist eine „Gelände“-Ansicht, in der Höhenlinien angezeigt werden. Auch die Navigation mit den Google-Karten ist viel übersichtlicher geworden. Allerdings haben nur die UMTS-Versionen des iPad einen GPS-Empfänger eingebaut. Ein Kompass ist dagegen in allen iPad-Versionen zu finden.
Von dem größeren Bildschirm des iPad profitiert auch die Foto-Anwendung von Apple. Manche User werden sich gewundert haben, warum das iPad überhaupt eine Foto-App hat, schließlich verfügt das Apple-Gerät nicht über eine eingebaute Kamera. Und eine externe Kamera kann man nur über einen extra zu bezahlenden Adapter (29 Dollar) anschließen. Doch man kann die Bilder über iPhoto synchronisieren und sie auf dem iPad auch nach Ereignissen, Orten oder Gesichter sortiert anschauen. Wer die Foto-Anwendung links liegen lassen sollte, verpasst ein Glanzlicht des iPads: Die Bilder sehen auf dem Screen hervorragend aus.
Web-Browser
Auch der Safari-Browser gehört zu den Nutznießern des größeren Bildschirm. Beim Web-Browsen auf dem iPad merkt man außerdem, dass das iPad mit einem deutlich leistungsstärkeren Mikroprozessor als das iPhone 3GS ausgestattet ist. Komplexe Websites wie www.nytimes.com öffnen sich bei einer WLAN-Verbindung auf dem iPad fast doppelt so schnell wie auf einem iPhone 3GS. Sonst ist alles wie gehabt, nur größer, schöner und schneller.
Kein Flash
Das iPad hat aber leider auch ein großes Problem des iPhones geerbt. Der Safari-Browser unterstützt nämlich nicht die Flash-Technologie von Adobe. Videos auf YouTube und etlichen anderen Websites werden zwar inzwischen perfekt über den neuen Webseiten-Standard HTML5 auf das iPad gebracht. Doch viele andere Portale sind noch nicht so weit und präsentieren wie Spiegel Online die Videos oder interaktive Grafiken weiterhin in Flash. Außerdem können iPad-User nicht populäre Online-Games wie Farmville spielen, die in Flash geschrieben sind.
Bei der ersten Vorführung des iPads im Janauar durch Steve Jobs zeigte auch noch die Website der New York Times hässliche weiße Flecken, weil das iPad die Flash-Element nicht darstellen konnte. Mittlerweile haben die New Yorker nachgebessert und Flash auf der Frontpage durch HTML5 ersetzt.
Die Verantwortlichen bei Apple begründen den Flash-Verzicht mit den Sicherheitslücken, die immer wieder in der Adobe-Technologie auftauchen. Außerdem habe Flash unendlichen Ressourcen-Hunger, der auch die Batterie-Laufzeit unnötig verkürze. Adobe weist diese Vorwürfe natürlich zurück und beklagt eine mangelnde Kooperationsbereitschaft der Verantwortlichen in der Apple-Zentrale. Auf der Strecke bleiben die Anwender, die mit dem iPad nur das „Web ohne Flash“ bekommen. In diese Wunde werden Apple-Konkurrenten wie HP Salz streuen, wenn sie die Vorteile der Tablet-PCs mit Intel-Chips und Windows 7 als Betriebssystem anpreisen.
Wer aber auf Flash verzichten kann, bekommt mit dem Safari-Programm auf dem iPad einen vollwertigen Browser, der den wichtigen Kompatibilitätstest Acid3 mit den vollen 100 Punkten erfüllt. Der Acid3-Test überprüft, ob ein Browser sich an die Web-Standards des offiziellen Gremiums W3C hält.
Gute Noten erzielt Safari auch bei der Verarbeitung von JavaScript-Anwendungen, die häufig bei Web-2.0-Anwendungen eingesetzt werden. Im SunSpider-Test schlägt das iPad nicht nur das iPhone 3GS, sondern lässt auch das Google-Smartphone hinter sich. Das iPad benötigte für den Testablauf 10,4 Sekunden, das iPhone 3GS 17,3 Sekunden, das Nexus One immerhin noch 14,4 Sekunden.
Mail-App
Zu den mitgelieferten iPad-Programmen gehört auch Mail, quasi eine Mischung der Apple-Mail-Programme auf dem Mac und dem iPhone. Aus der Liste der E-Mails heraus kann man in einem Lesebereich auf der rechten Seite des Bildschirms sofort auch den Inhalt der Mail sehen – wie beim Mac. Leider hat Mail auf dem iPad kein großes Eingangs-Postfach, in der die Mails aus verschiedenen Konten einlaufen können. Man muss beim Abfragen mehrerer E-Mail-Konten also zwischen verschiedenen Accounts wechseln – wie beim iPhone. Die Anwendungen Kalender und Kontakte entsprechend weitgehend ihrem Pendant auf dem Mac (iCal und Adressbuch). Dabei haben sich die Oberflächendesigner von Apple die Mühe gemacht, die Anwendungen wie einen wertvollen Taschenkalender aussehen zu lassen.
iBooks
Nur den Besitzern eines US-Accounts von iTunes wird vorläufig die E-Book-Anwendung von Apple zur Verfügung stehen, die auf dem iPad natürlich iBooks heißt. In Deutschland muss Apple bei den Verlagen erst noch Überzeugungsarbeit leisten und sich mit heiklen politischen Themen wie der Buchpreisbindung auf dem deutschen Markt herumschlagen.
Schon bei der Vorstellung des iPads hatte Apple-Chef Steve Jobs fünf Großverlage als iBooks-Partner präsentiert: Penguin, Harper Collins, Simon & Schuster, Macmillan und Hachette. Es fehlt eigentlich nur noch Bertelsmann, dessen Verlag Random House der zweitgrößte Buchverlag am US-Markt ist. Inzwischen sind auch kleinere Verlage wie Perseus Book Group und Workman Publishing mit an Bord. Außerdem will Apple auf dem Markt der Textbücher in Schulen und Universitäten abräumen, der in den USA eine große Bedeutung hat.
Das Einkaufen in dem iBookstore von Apple ist kinderleicht. Neben den kommerziell vertriebenen Büchern offeriert Apple kostenlose Klassiker wie „Huckleberry Finn“ von Mark Twain, deren Copyright nach US-Recht ausgelaufen ist. Apple setzt dabei auf das offene ePub-Format. Bei den kommerziellen Titeln verhindert das Apple-Kopierschutzsystem Fairplay allerdings, dass die Bücher auf anderen Playern dargestellt werden können.
Nach der Premiere im Januar wurde das iPad in vielen Berichten als großer Gegenspieler zum E-Book „Kindle“ von Amazon.com positioniert. Das stimmt nur bedingt, denn Amazon vertreibt selbst über das iPad digitalisierte Bücher. Die Kindle-Anwendung im iTunes Store gehörte zu den ersten Apps, die auf das größere Display des iPads angepasst wurde.
Apple und Amazon pflegen also eine Mischung aus Wettbewerb und Kooperation, auf Neudeutsch „Coopetition“. Der Kindle, der nur 290 Gramm wiegt und mit seinem grauen E-Ink-Display viele Tage ohne Steckdose auskommt, richtet sich dabei an Leseratten, die ein spezielles E-Book-Gerät haben wollen. Das iPad dagegen ist die bunte Wundertüte, für die es nicht nur E-Books gibt, sondern die weite Welt des Webs und die Vielfalt von 150.000 Anwendungen aus dem iTunes Store.
Nichts für Schrauber
Unter den Befürwortern der Open-Source-Bewegung löst das iPad große Abwehrreflexe aus, da Apple den Besitzern wenig Spielraum gibt, „unter der Haube zu schrauben“, selbst geschriebene Programme an der Qualitätskontrolle von Apple vorbei zu vertreiben und Inhalte auf allen denkbaren Wegen auf den Tablet Computer zu bringen. „Wenn Du in einem kreativen Universum leben möchtest, in dem jeder mit einer coolen Idee sie auch verwirklichen kann und dir das Ergebnis dann für deine eigene Hardware zur Verfügung stellen kann, dann ist das iPad nichts für Dich“, schreibt Cory Doctorow auf der Site BoingBoing.
Vorwürfe wie diese laufen jedoch ins Leere: Zum einen unterstützt das iPad (wie das iPhone) die offenen Technologien (HTML5), mit denen man auf einfachstem Weg Webprogramm auf einem Mobilgerät zum Laufen bringen kann. Wie mächtig diese Web-Anwendungen sind, beweist beispielsweise Google mit seinen Anwendungen eindrucksvoll. Zum anderen möchten die meisten Anwender nicht permanent „unter der Haube schrauben“ und hoffnungslos damit überfordert, selbst einen Quell-Code zu kompilieren oder andere komplizierte Dinge auszuführen. Anwender eines iPads werden aus einer Vielfalt von Apps auswählen können, die man in Open-Source-Umgebungen wie dem Google-Betriebssystem Android vergebens sucht.
H. Guhl