Schweinezyklus IT AG In den achtziger Jahren warnten Bildungsexperten vor einem Lehramtsstudium. Die Abiturienten hielten sich an die Empfehlung: Heute leidet Deutschland unter Lehrermangel. Ähnlich sieht es bei der Informationstechnologie (IT) aus. Zu wenig IT-Fachleute gebe es, stöhnt die Wirtschaft – und vermittelt den Eindruck, das Informatikstudium sei eine Art Arbeitslosenversicherung.
Die Klagen der Wirtschaft, wenn auch leiser geworden, scheinen im Widerspruch zur Krise der Branche zu stehen: Mehr als 43 000 arbeitslose EDV-Fachkräfte hatte die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg im August 2001 registriert, darunter viele Informatiker. Ein Jahr zuvor waren es nur 32 978 – ein Zuwachs von 31 Prozent.
Gleichzeitig stieg die Zahl der Informatik-Erstsemester: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden hat sich 2000 die Zahl der Informatikanfänger gegenüber 1997 verdreifacht. "IT-Spezialist" ist zum Traumberuf geworden: Laut dem Meinungsforschungsinstitut Allensbach haben im Jahr 2000 Software-Entwickler, Informatiker und EDV-Fachmann bei den Berufswünschen der männlichen Schüler den Kfz-Mechaniker überholt. Die Krux daran: Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat das Jahre zu spät – erst ab etwa 2004 dürften sich die Informatik-Boomer auf Jobsuche begeben.
Das Phänomen des "Schweinezyklus", das nun auch im Bildungswesen, zu drohen scheint, ist lange bekannt: Ein Ökonom hatte in den dreißiger Jahren beobachtet, dass die Preise für Schweinefleisch mit schöner Regelmäßigkeit in einem Jahr in Schwindel erregende Höhen und im nächsten Jahr in die Tiefe sausten. In dem Jahr mit hohen Preisen entdeckten die Bauern, dass sich mit Schweinen gut Geld verdienen lässt – und produzierten prompt ein Überangebot, welches im nächsten Jahr für Tiefstpreise sorgte.!
Die Krise der IT-Branche Anfang der neunziger Jahr hatte dafür gesorgt, dass 1994 bis 1997 die Studentenzahlen drastisch zurückgegingen. Fachkräftemangel war die Folge. "Die Unternehmen melden ihren aktuellen Bedarf aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen an", sagt Klaus Burmeister, Politologe und Geschäftsführer beim Z_punkt Büro für Zukunftsgestaltung in Essen. So hatte BITKOM, der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien in Berlin, seit 1997 pro Jahr einen Mangel an 25 000 Fachkräften gemeldet, der sich bis zum Jahr 2000 auf 100 000 offene Stellen summiert haben sollte. Inzwischen gibt das Sprachrohr der Branche keine Zahlen mehr heraus.
Weder das Bundesbildungsministerium, noch die Gesellschaft für Informatik oder der Verband Deutscher Ingenieure (VDI) sieht auf Grund dieser Entwicklungen "Alarmstufe Rot". "Nach wie vor bietet ein Informatikstudium mit! tel- und auch langfristig hervorragende Berufsperspektiven", versichert Jörg Maas, Geschäftsführer der Gesellschaft für Informatik in Bonn. In den Anwenderbranchen – bei jenen Unternehmen, die IT nicht als Kerngeschäft betreiben – bestehe großer Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern. Auch die Softwareindustrie suche nach wie vor, gerade der Mittelstand. "Es ist falsch, die Krise in Telekommunikation und Hardware auf die gesamte IT zu übertragen", sagt Peter Littig, Geschäftsführer der Dekra-Akademie in Stuttgart und Vorstandsmitglied im Verband der deutschen Softwareindustrie (VSI) in München.
Doch wie groß der Bedarf ist und wo die Qualifikationen liegen, wenn die Informatik-Boomer ihr Studium beenden werden, weiß niemand so genau. "Wenn die Bildungspolitik auf die kurzfristigen Bedarfsmeldungen der Wirtschaft reagiert, ist es meist schon zu spät", sagt Klaus Burmeister. Bis Studenten ihre Ausbildung beenden, haben sich die Erfordernisse des Marktes oft geändert. Deshalb empfahlen Bildungsexperten in der Vergangenheit häufig, antizyklisch zu studieren, sich bewusst für einen Studiengang zu entscheiden, der derzeit nicht trendy ist. "Die Schweinezyklen im Bildungswesen sind aber nicht regelmäßig und auch kaum berechenbar", so Wolf-Dieter Lukas, Leiter Information und Kommunikation beim Bundesbildungsministerium in Berlin.
Der Weg aus dem Kreislauf scheint auf den ersten Blick ebenso schizophren wie das ungleiche Paar Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel. Eine breit angelegte Grundqualifikation wählen, die durch Weiterbildung an die jeweiligen Erfordernisse des Marktes angepasst werden kann, empfiehlt Lukas. "Ansätze dazu bieten die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge", so Burmeister. Doch auch klassische Studiengänge wie Informatik oder Wirtschaftsinformatik ! bilden eine solche Basis. Umstrittener sind die neuen und spezialisierten Studiengänge. "Wie groß 2005 beispielsweise der Bedarf an Medieninformatikern ist, lässt sich derzeit überhaupt nicht abschätzen", sagt Maas. Von Svenja Hofert, dpa.
Weiterführende Informationen
www.arbeitsamt.de
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