Wir haben kein Cyber-Zentrum, aber ein Cyber-Abwehrzentrum. Ach, Deutschland. @moeffju
Dieser Tweet beschäftigt mich. Zuerst wollte ich widersprechen. Wir haben sehr wohl ein Cyber-Zentrum, sogar mehrere. Rosenthaler Straße in Berlin. Alte Pianofabrik in Hamburg. Mediadocks in Köln und Lübeck sowie die Brauerstraße in Karlsruhe. Doch die Betrachtung der Risiken anstelle der Chancen entspricht dem deutschen Umgang mit Neuem und Fremden: Es gibt undefinierte Bedrohungen aus der Cyber-Sphäre. Die Gefahr ist scheinbar real. Jeder, der nicht aufpasst, fängt sich Viren ein. Jeder, der nach leichter Beute aussieht, wird angegriffen.
Als die Tagesschau am 1. April über das Cyber-Abwehrzentrum berichtete, hielt ich es für einen Scherz. Doch am 16. Juni wurde das Abwehrzentrum tatsächlich funktional. Es nahm schon am 1. April den Betrieb auf, stellt Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich [BMI] klar. Das wirkt ein wenig wie die Konstruktion des Todesstern – voll einsatzbereich, obwohl er noch wie ein Gerüst seiner selbst aussieht. Am Traktorstrahl hängen die Feinde. Anonyme Hacker, chinesische Bot-Netze und russische Spammer sowie Facebook-Parties.
Die Dinge in diesem Internet verselbständigen sich. War es am 13. Juni 2009 die Strand-Sause auf Sylt, zu der Christoph Stüber auf MeinVZ aufrief, so sind es heute Arabische Revolutionen der Generation Facebook. 2009 wollten 5000 Feierwütige dem Christoph S. über die Trennung von seiner Freundin hinwegtrösten. 2011 campen Jugendliche auf Innenstadtplätzen in Ägypten, Spanien und Griechenland. In Hamburg werden Studierende, die ein Zeltlager auf dem Rathausmarkt errichten, von der Polizei verprügelt und mit Pfefferspray getriezt [taz]. „Yes, we camp.” So lautet der Schlachtruf der Jungen und das Establishment ist gereizt. Seit Barak Obama den Beweis erbrachte, dass man mit Twitter, Flickr und Facebook zum Präsidenten der Vereinigten Staaten werden kann, haben Social-Media-Berater Hochkonjunktur.
So, so, das Netz soll also das fünfte Schlachtfeld sein, ein Kriegsschauplatz wie Land, Wasser, Luft und Weltraum. Chinesen, Amerikaner und auch die Deutschen rüsten sich gegen aber auch für so genannte Cyber-Angriffe: Rund 14 Milliarden Dollar geben die USA jährlich aus für Angriff und Verteidigung im Cyberspace, schreibt Seymour Hersh im New Yorker. Die USA wollen Angriffe aus dem Netz demnächst auch mit „kinetischen“ Waffen beantworten, wie das im Militär-Jargon heißt: Ihr schickt Bits, wir antworten mit Bomben. [ZDF Hyperland]
Der Kampf um die Macht wird elektronisch geführt. Obama wird Präsident und Wikileaks stört seinen Wahrheitsbegriff und fordert Aufklärung über den Krieg im Irak. Während sich die verschlüsselten diplomatischen Depeschen, die Wikileaks Cables, im Internet auf hunderte Server von Unterstützern replizieren, kommt heraus, dass wohl ein Virus namens Stuxnet die Uran-Zentrifugen im Iranischen Atomprogramm zerstört hat. Entrüstung hier, Empörung dort. Der asymmetrische Kampf geht weiter. Julian Assange gegen die USA. Hacker gegen die Homepage von Visa. Anonymous für Youtube gegen die Gema, weil Sony die Musikvideos sperren lässt und weil Sony die Anmeldedaten vom Sony Playstation Network nicht ausreichend gesichert hat.
Die Technik wird von allen gebraucht und genutzt: Über Twitter und GPS steuern sich Demonstranten in London. Über GSM steuern Konzerne technische Anlagen und betreiben Logistik. Das ist auch Logistik: Dank GSM kann die Polizei in Dresden Bewegungsprofile und Kommunikationsmuster von Demonstranten erstellen und munter SMS mitlesen.
Die Mitarbeiter im Cyber-Abwehrzentrum werden viel zu tun haben – an allen Fronten. Sie müssen Barmbeker Mädchen wie Thessa helfen, in Facebook geeignete Einstellungen zur Privatsphäre zu treffen. Auch der Chef von Xing hatte im eigenen Produkt seine Probleme, spöttelt die Szene und vermutet ein Viral. Viraler werden Sponti-Hacker von LulzSec und Anonymous, die für generelle Freiheit im Internet kämpfen wollen. Das Cyber-Abwehrzentrum muss entschieden gegen Betrug auf eBay vorgehen. Das wird nicht leicht, einerseits durch Berichte über Hacker-Angriffe auf die digitale Währung Bitcoin Verunsicherung zu stiften und gleichzeitig das Märchen vom sicheren Online-Banking und stabilem Geld aufrecht zu erhalten. Hoffentlich haben die genügend Community-Manager.
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