News of the World zur Bundestagswahl 2017. Gestern war Sonntag und Deutschland hat gewählt. Wahlberechtigt waren etwa 61,5 Millionen Bundesbürger. Die Wahlbeteiligung liegt bei 76,2 Prozent (2013: 71,5). Das am 25. September kurz vor Sonnenaufgang verkündete vorläufige Ergebnis ermittelt Verluste für CDU ( minus 7,3 : 26,8 Prozent ), CSU ( minus 1,2 : 6,2 Prozent ) und SPD ( minus 5,2 : 20,5 Prozent ) auf der einen Seite sowie Gewinne für AfD ( plus 7,9 : 12,6 Prozent ), FDP ( plus 5,9 : 10,7 Prozent ) und Linke ( plus 0,6 : 9,2 Prozent ) sowie Grüne ( plus 0,5 : 8,9 Prozent).
Für CDU/CSU ist es das schlechteste Ergebnis seit 1949. Für die SPD das schlechtestes Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte.
Die Große Koalition ist nicht abgewählt. Sie hat noch immer eine Mehrheit im Bundestag.
[ Angela Merkel, CDU ]
Angela Merkel hat mit der Union ihre Wahlziele erreicht:
- Die Union bleibt stärkste Kraft mit 33 Prozent.
- Angela Merkel bleibt Bundeskanzlerin.
- Rot-Rot-Grün konnte verhindert werden.
Die größten Verluste macht übrigens die kleinste Fraktion, und zwar die der CSU. Die CSU verliert in Bayern 10,5 Prozentpunkte und die absolute Mehrheit. Das sind keine guten Voraussetzungen für die Landtagswahlen 2018 in Bayern. Die AfD kommt in Bayern auf 12,4 und liegt dort in etwa im Bundesschnitt.
Rechnerisch kann die Große Koalition zwar weiter regieren, denn: Man macht ja gute Arbeit, verliert aber in der Summe mehr als 13 Prozent.
Wenn Angela Merkel wieder zur Kanzlerin gewählt werden möchte, dann zum hohen Preis von komplizierten Koalitionsverhandlungen, die von der CDU als stärkster Kraft zu führen sind. Es lockt die Macht, aber es wird trotzdem nicht einfach:
- Die SPD will in die Opposition,
- die FDP will sich nicht von der SPD in eine Regierung zwingen lassen,
- die Grünen wollen ihrer Parteibasis nichts aufzwingen,
- die CSU will ihren Bayernplan und damit ihren Markenkern nicht aufgeben.
Die Grünen stellen folgende Forderungen an eine Jamaika-Koalition:
- Die CDU muss ökologischer werden,
- die FDP muss sozialer werden und
- die CSU muss liberaler werden.
Der CSU sollte klar sein, dass nach der Homo-Ehe-für-alle als nächste Neuerung Kiffen-für-alle kommen wird. Denn FDP und Grüne wollen eine liberalere Drogenpolitik, die sich nicht nur am bayrischen Brauchtum und Bier orientiert.
Womit will du im Jahr 2030 deinen Tesla aufladen, wenn es keine Braunkohlekraftwerke mehr gibt?
[ Christian Lindner, FDP ]
Die Knackpunkte einer Jamaika-Koalition sind angelegt bei Soziales, Klima und der Obergrenze der CSU. Ein paar Beispiele:
- Europa (CDU) vs Grexit (FDP)
- Bürgerversicherung (Grüne) vs Private Krankenversicherung (FDP)
- Erneuerbare Energie (Grüne), Strom-Trassen (CSU), mehr Markt (FDP)
- Veggie-Day (Grüne) vs Schweinefleisch aus Massentierhaltung (CSU)
- Tempolimit (Grüne) vs Dieselsubvention (CDU, CSU, FDP)
Aber die Obergrenze für Flüchtlinge und/oder Zuwanderung ist jedoch die Sollbruchstelle einer möglichen Jamaika-Koalition:
- Merkel: Mit mir wird es keine Obergrenze geben.
- CSU: Ohne Obergrenze wird es keine Koalition geben.
- Grüne: Eine Koalition wird es nur ohne Obergrenze geben.
- FDP: Deutschland braucht ein Einwanderungsgesetz.
Wir hatten in der Union eine offene rechte Flanke, die vom Wettbewerber genutzt wurde. Viele Menschen haben Angst vor dem Verlust der kulturellen Identität. Das Land ist gespalten, das war mit Händen zu greifen.
[ Horst Seehofer, CSU ]
Die SPD geht übrigens in die Oppostion, damit die AfD nicht die parlamentarische Opposition anführen kann. Das sollte sogar im Interesse von Angela Merkel sein, denn Alexander Gauland kündigte an, sie im Bundestag jagen zu wollen.
Neben der Regierungsbildung wird es auch um konkrete politische Fragen gehen. 100 Prozent der AfD-Wähler sind unzufrieden mit der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Dabei muss man die Frage stellen, mit welcher Flüchtlingspolitik? Mit der Öffnung der Grenze zu Ungarn (2015) oder mit der Schließung der Balkan-Route?
Überdies geht es nicht um den Kampf gegen die AfD sondern um Menschen. 85 Prozent der AfD-Wähler wollen ihren Protest ausdrücken. 60 Prozent der AfD-Wähler sind unzufrieden mit den anderen Parteien. Da sollte man sich in den anderen Parteien mal fragen, was es sein könnte.
Der von der AfD angebotene Kulturkampf um das deutsche Volks gegen eine wie auch immer und tatsächlich gar nicht stattfindende Massenmigration ist im frustrierten Milieu willkommen. Denn die AfD kümmert sich wenigstens um unsere Belange – so deren Sicht. Die Empathie sind der Union und der SPD verloren gegangen. Die Menschen (im Osten) wollen würdevolle Renten und sanktionsfreie Sozialhilfe und bezahlbaren Wohnraum. Sie wollen die selbe bedingungslose Hilfe, die Flüchtlinge aus der Fremde an der Grenze erhalten haben. Denn: Die Würde des Mensch ist unantastbar.
Wenn man jedoch einen unpolitisierten Wahlkampf führt wie Merkel, dann versteht man nicht, warum die Menschen pfeifen, und zwar nicht nur in Ostdeutschland sondern auch in der Fischauktionshalle in Hamburg und auf dem Marienplatz in München.
Wenn man jedoch den Wahlkampf zuspitzt auf die Titelverteidigerin von der CDU und den Kanzlerkandidaten der SPD als Herausforderer, dann versteht man nicht, dass es nicht um ein sportliches Duell geht, sondern um Zukunftsentwürfe – um Gemeinsamkeiten und eben nicht um ein Wir-gegen-Die oder Die-gegen-Uns.
In den Medien machte die AfD das Rennen um den dritten Platz. Meine Frage lautet: Was hat sie gewonnen? Bronze? Oder Blech?
Im AfD-Ähnlichkeitswettbewerb wird die CSU die kommende Landtagswahl verlieren und die Union wird Enttäuschte – obwohl von Merkel versprochen –
nicht zurückgewinnen. Gegenwind wird die AfD stärken. Der nächste Bundestag und die nächste Regierung müssen der AfD den Wind aus den Segeln nehmen, indem sie die Lebenssituation von allen Menschen konkret verbessert. Bei brummender Wirtschaft und Rekordsteuereinnahmen sollte das Geld dafür vorhanden sein. Wenn man die Griechen retten kann, dann kann man jeden retten.
Nicht zuletzt wird sich eine Jamaika-Koalition auch um die Rechte von Arbeitnehmern und um die Stärkung von Gewerkschaften kümmern müssen. Das Erstarken der AfD ist der Weckruf für eine gesellschaftliche und soziale Erneuerung. In der politischen Lehre kann die Erneuerung zwar nur von Links erfolgen, aber es wäre ja nicht der erste Streich der Geschichte: Die FDP muss Hartz-IV-Sozialgesetze zurücknehmen, nachdem sie von der SPD in die Regierung gezwungen wurde, die sie selbst nicht wollte.
[ Bild: tagesschau.de/wahlen ]
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32,9 statt 33,0 Prozent. Zwei Tage nach der Bundestagswahl hat sich das Ergebnis der Union leicht verschlechtert. Der Grund: ein Fehler beim Zusammenrechnen der Zahlen von CDU und CSU [ spiegel.de ].