Made in Germany: Das Auto. Am 29. September 1913 ging Rudolf Diesel in Antwerpen an Bord des britischen Fährschiffs Dresden, um nach Harwich überzusetzen und später in London an einem Treffen der Consolidated Diesel Manufacturing Ltd. teilzunehmen. Er schien guter Laune zu sein, wurde aber, nachdem er abends den Esstisch verlassen hatte, nicht wieder gesehen. Sein Bett in der Kabine war unbenutzt. Am 10. Oktober sah die Besatzung des niederländischen Lotsenbootes Coertsen bei heftigem Seegang die Leiche eines Mannes im Wasser treiben. Sie konnte den in Auflösung befindlichen Leichnam nicht bergen, sondern den Kleidern nur einige kleine Gegenstände wie eine Pastillendose, ein Portemonnaie, ein Taschenmesser und ein Brillenetui entnehmen, die vom Sohn Eugen Diesel am 13. Oktober in Vlissingen als seinem Vater gehörend identifiziert wurden.
Mister Diesel ist tot. Volkswagen läutet jetzt das Ende seiner Erfindung ein. Der selbstzündende Diesel-Motor wurde mit Turbolader, Hochdruckeinspritzpumpen und Elektronik auf Leistung getrimmt, mit Russfiltern auf Sauberkeit, und mit Harmstoff-Katalyse (AdBlue) auf Umweltverträglichkeit – theoretisch jedenfalls.
Denn: Volkswagen betrügt. Die unter dem Label Clean Diesel vermarkteten Fahrzeuge beinhalten zum Teil eine modifizierte Motorsteuerung, mit der sich der Motor nur und ausschließlich auf dem Teststand sauber verhält, wie jetzt beim 32C3 gezeigt werden konnte. Insgesamt mogeln sich weltweit 11 Millionen Volkswagen durch die Typenzulassung. Im Alltagsleben dieseln Jetta, Passat und New Beatle erheblich mehr Stickoxide aus als zugesichert. Anfang September musste Volkswagen in den USA einräumen, dass bei mehr als 500.000 Autos die Abgaswerte ausschließlich in der standardisierten Testsituation eingehalten werden.
Die US-Behörden sind mächtig. Auf den Konzern, der sich von Juli bis August rühmen konnte, der größte Autobauer der Welt zu sein, kommen Klagen um Schadenersatz und Strafen zu. Die erste wurde jetzt in Detroit eingereicht, pünktlich zur CES und vor der North American International Auto Show ( NAIAS ) in der kommenden Woche ( 11-24.1 ). Juristisch dürfte es durch alle Instanzen gehen, bis der Laie nicht mehr zuordnen kann, für welche Taten eigentlich welche Zahlungen zu leisten sind. Dazu kommt der Vertrauensverlust. Vertrauen wieder herstellen wollte VW-Chef Winterkorn in einer ersten Erklärung. Dabei übernahm der bestbezahlte deutsche Manager unlängst die Verantwortung und räumte seinen Platz in der Unternehmensleitung. Arbeitsrechtliche Einschnitte hat Winterkorn nicht zu fürchten. Einzig der Zielerreichungsgrad in Sachen Umweltschutz dürfte fraglich sein. Aber davon wird man als Außenstehender nichts mitbekommen. Nach einer Karenzzeit darf Winterkorn dann die Bahn leiten oder BER neu bauen. Für Menschen seines Schlages findet sich immer eine Anschlussverwendung. Außerdem sitzt er im VW-Konzern noch auf anderen Chefsesseln.
Vertrauen wieder herstellen soll Winterkorn-Nachfolger Müller wollen. Er kommt vom Vollgas-Unternehmen Porsche und bezeichnete selbst-fahrende Autos vor der IAA 2015 als Hype. Dort stellte Porsche einen elektrischen Strom-Flitzer vor, der voll toll schnell wieder aufgeladen ist, denn wenn man voll toll schnell fährt, ist der voll toll schnell leergefahren. Dafür produziert der keine Russ-Wolken und Abgase, beziehungsweise entstehen die an anderer Stelle, sofern nicht regenerative Energien zum Einsatz kommen.
In der Öko-Bilanz macht Volkswagen jedenfalls keinen guten Eindruck. Stück für Stück räumt der Konzern seine Vergehen eine, aber immer nur das, was entweder bereits durch andere bekannt gemacht wurde, oder aber anderen bereits bekannt ist. Besondere Bedeutung kommt auch der Politik zu. Zum einen erfolgen keinerlei Kontrollen. Abgaswerte und Verbräuche melden die Autobauer, denen dann vertraut wird. Zum anderen droht die Industrie stets mit ihrem Eigengewicht. Jeder siebte Job in Deutschland hängt angeblich vom Autostandort ab. Durch den Abgasskandal werden jetzt am Standort Braunschweig die ersten Fließbandarbeiter in Leiharbeit freigesetzt. Dem Land Niedersachsen kommt auch dabei eine besondere Bedeutung zu. Das Land ist zu einem Fünftel Eigentümer von Volkswagen und verfügt über einer Sperrminorität.
Steuereinnahmen aus der Lohnsteuer der Beschäftigten gegen Kurzarbeitergeld ist nur eine Seite. Die andere besteht aus den gesellschaftlichen Kosten von Gesundheit. Wie wäre es, wenn herauskommt, dass jede siebte Krankheit auf die Luftverschmutzung durch schmutzige Diesel zurückzuführen sind. In Städten und Ballungsräumen gibt es zum Beispiel mehr Allergien und Atemwegserkrankungen.
Steuerliche Begünstigungen wie etwa die Dieselsubvention gehören ebenso auf den Prüfstand wie die EU-Kredite, die Volkswagen zur Entwicklung von umweltfreundlichen Motoren erhalten hat. Seit 1990 hat die Europäischen Investitionsbank ( EIB ) rund 4,6 Milliarden Euro an günstigen Krediten nach Wolfsburg vergeben. Die EU-Antibetrugsbehörde Olaf warnte bereits vor finanziellen Konsequenzen, denn es könnte die sofortige Rückzahlung drohen. Die aktuell gefallenen Treibstoffpreise sprechen ebenfalls für die Streichung der Dieselsubvention, denn eigentlich müssten Super-Benzin und Diesel wie in England gleich teuer sein.
In Frankreich ist der Diesel bereits als Verschmutzer ausgemacht. Dort erhalten Besitzer von zehn Jahre alten Diesel-Fahrzeugen eine Umstiegshilfe von 10.000 Euro für den Kauf eines Elektroautos. In fünf Jahren – also bis 2020 – will Paris den Diesel aus der Stadt verbannen. Wie ich finde, ist das der richtige Weg, denn die Industrie bekommt es technisch nicht hin.