News of the World Spezial. Im Facebook-Skandal geht es nicht allein um die Privatsphäre und den Datenschutz. Unsere gesellschaftliche und wirtschaftliche Zukunft steht auf dem Spiel. Denn immer wenn eine technologische Revolution ein neues Zeitalter einläutet, kommt anfänglich nur eine kleine Gruppe von Menschen in den Genuß von Verbesserungen. Die meisten verlieren – so auch in der Industrie 4.0.
Als in der industriellen Revolution die Massenproduktion eingeführte wurde, entzog es Tausenden von talentierten, unabhängigen Handwerkern die wirtschaftliche Grundlage. Vor die Wahl gestellt, entweder betteln zu gehen oder eine weniger fordernde Tätigkeit in der neuen Fabrik anzunehmen – bei gleichzeitigem Verlust der Selbständigkeit, bringt den Strukturwandel zum Ausdruck.
Nachlaufend erreichten Staat und Gesellschaft einige Verbesserungen für die werktätige Bevölkerung. Zeitliche Obergrenzen, Pausenregelungen, Arbeitsschutz, Krankenversicherung und erst recht spät so etwas wie ein freies Wochenende. Obgleich unter den Stichworten Globalisierung und internationaler Wettbewerb einige dieser Errungenschaften wieder geschliffen werden.
Gleichwohl ist allen klar, dass die industrielle Revolution für unseren derzeitigen Lebensstandard eine gute Sache ist – aber es brauchte Jahrzehnte des Drucks und der Maßnahmen, um sicherzustellen, dass einige dieser Vorteile bei denen angekommen sind, die sie erwirtschaftet haben.
Daher gehen die Auswirkungen des Facebook-Skandals weit über Cambridge Analytica und Facebook hinaus. Selbstverständlich wird aufzuklären sein:
- wie Cambridge Analytica an die Daten (und welche) gekommen ist,
- warum Facebook sich auf zugesicherte Löschung verlassen darf,
- welche Erkenntnisse die von Facebook beauftragte Firma Stroz Friedberg in den Räumen von Cambridge Analytica gewonnen hat – immerhin eine Woche vor dem offiziellen Durchsuchungsbeschluss britischer Ermittlungsbehörden,
- welche Spuren und Beweise wurden von Stroz Friedberg verwischt [ fb.com ],
- wo sind noch Daten von Facebook außer Kontrolle,
- warum kann Facebook den Gesetzgeber und Abgeordnete wie Senatoren und Minister an der Nase herumführen – Stichwort: Medienkompetenz im Neuland,
- welche Regulierungen werden zum Schutz des Einzelnen und der Gesellschaft (Wahlbeeinflussung, Kenia, Trump, Brexit, NRA) eingezogen?
Facebook erteilt uns wieder einmal eine Lektion. Die Plattform ist nicht neutral. Software ist nicht neutral. Daten sind zwar aseptisch aber nicht neutral, denn Facebook verdient Geld mit Daten und mit unserer Aufmerksamkeit. Daher geht dieser Skandal über Facebook hinaus. Es geht um ein zukunftsfähiges Modell einer Gesellschaft, die für alle funktioniert und in der Teilhabe nicht über die Mitgliedschaft bei Facebook definiert ist.
Es muss eine gesellschaftliche Debatte geführt werden, was unsere Daten wert sind und wie Facebook und andere Internet-Firmen unsere Daten sammeln, verarbeiten und neu sortieren und verpacken, um ihre Multimilliarden-Dollar-Gewinne zu erzielen.
Denn Social Media hat sich in die politische Willensbildung eingeschaltet, weil der Wähler dort ist. Die Wahlwerbung ist ihm einfach gefolgt.
Der erste US-Präsident mit einer Facebook-App war Barack Obama, der 2012 seine Wiederwahl über Facebook optimierte und ermöglichte. Mit einer Facebook-App sammeln die Statistiker von Barack Obama zahlreiche Informationen, um den Wahlkampf genau steuern zu können [ zeit.de ].
2014 testeten Cambridge Analytica in den Midterm Elections in den USA die Akzeptanz für autoritäre Kampfbegriffe, mit denen die Kandidatur von Donald Trump durch Steve Bannon vorbereitet wurde [ washingtonpost.com ].
2015 unterstützte Cambridge Analytica die Kampagne von Leave.EU und UKIP für den Brexit, so dass nach dem Wahlsieg von Donald Trump im November 2016 die Parallelen in den Kampagnen sichtbar wurden. Jetzt sind die Verbindungen zwischen Bannon, Trump, Farage, Assange und unter russischer Beteiligung offen sichtbar. Assage hat die von Trump bestellten E-Mails von Hillary von Guccifer 2.0, einem russischen Verbindungsoffizier, erhalten. Der Bote dieser Liebesbriefe war Farage, der sich im goldenen Fahrstuhl vom Trump-Tower auf Twitter verewigt. So oder so ähnlich muss es gewesen sein [ @Nigel Farage ].
2016 koordiniert Cambridge Analytica die heiße Phase im US-Wahlkampf. Russische Fakenews, die Facebook erst leugnet und dann einzeln bestätigt, nachdem auch Twitter und Google diese eingeräumt hatten, spalten die Wähler und mobilisieren ausreichend schmale Margen in den entscheidenden Bundesstaaten für den Sieg nach Wahlleuten für Donald Trump. Das war eine knappe Kiste, aber ohne die Dienste von Facebook nicht möglich.
Mitarbeiter von Facebook hatten übrigens Cambridge Analytica und die Kampagnen von Trump und Clinton beraten, so dass sich Facebook hätte überzeugen können vom sauberen Datenpool bei den Dienstleistern. Zwischen Trump und Cambridge Analytica und zu Facebook flossen Millionen.
Dennoch werden es wahrscheinlich nicht die Gelder sein, die letztlich auch Trump in Bedrängnis bringen, sondern die britischen und kanadischen Mitarbeiter von Cambridge Analytica und deren russische Mittelsmänner, die nicht hätten in den US-Wahlkampf eingreifen dürfen [ washingtonpost.com ].
Beim Brexit dürften die Beteiligten bis hin zu May und Johnson hingegen sehr wohl über Geldströme stolpern. Dies legen jedenfalls die jüngsten Enthüllungen nahe [ theguardian.com ].
Und der lachende Dritte: Facebook. Facebook verdient an beiden Kampagnen – dafür, dagegen. Eine Win-Win-Situation, bei der unsere Gesellschaft verliert. Wenn die Diskurse vergiftet sind. Wenn Reichweite gekauft wird.
Das alles auf der Basis von Daten. Dabei handelt es sich um unsere Daten. Um die Likes unserer Freunde, die Facebook in Wert setzt. Diese Daten sind das neue Öl, der Rohstoff der Digitalisierung. Allerdings sind es unsere Persönlichkeiten, die durch die Glasfasern an den Netzwerkknoten gepumpt werden. Womit wir wieder bei der industriellen Wertschöpfung angelangt wären.
Google weiss, was wir suchen.
Facebook weiss, was wir mögen.
Gemeinsam verdienen beide Firmen jährlich Milliarden mit scheinbar harmlosen Details wie unseren Bookmarks im Browser und unseren Likes bei Facebook. Das spiegelt sich in den Börsenwerten der Digitalunternehmen wieder.
Die Muttergesellschaft von Google, Alphabet, erreicht innerhalb von 20 Jahren einen Wert von mehr als 720 Milliarden Dollar mit Werbung zwischen Suchergebnissen.
Facebook, das gerade seinen 14. Geburtstag gefeiert hat, ist immer noch mehr als 475 Milliarden Dollar wert. Selbst nachdem es eine ganze Woche lang nicht aus den schlechten Schlagzeilen kommen konnte.
Der jüngste Coup: Die Android-App von Facebook erntet die Metadaten von allen Kontakten, allen Anrufen und allen SMS-Kurznachrichten [ @ Dylan McKay ].
2,5 Milliarden Menschen, die sich einmal im Monat bei Facebook anmelden, und 3,5 Milliarden Suchabfragen bei Google pro Tag spiegeln den Wert unserer Daten wider. Davon können wir uns jedoch nichts kaufen, weil wir wie die selbständigen Handwerker in der industriellen Revolution unsere Freiheit verlieren an die Programme und Algorithmen von Google und Facebook.
Verdienen tun die Aktionäre, die in die Internet-Firmen investiert haben, und ihre Gründer, die sich mit einer kindlichen Aura der Sorglosigkeit umgeben können, wie man es zum Beispiel bei Mark Zuckerberg beobachten kann.
Verdienen werden die Investoren in Trump, weil er Waffen und Rüstung, eine Mauer und Gefängnisse und bezahlbare Medikamente für alle versprochen hat.
Verdienen werden die Investoren in den Brexit, die davon profitieren, dass die Menschen im Vereinigten Königreich ihre Möglichkeiten verlieren werden, eine Arbeit in Europa anzunehmen.
Und so kommt es, dass die Reichsten der Reichen immer reicher werden. In den USA verfügten die reichsten 0,1 Prozent in den USA im Jahr 1978 über 7 Prozent aller Werte. Vierzig Jahre weiter sind es mehr als 20 Prozent mit den größten Steigerungsraten durch die Dotcoms und das Internet.
Im Gegensatz dazu wird die sogenannte Mittelschicht, die sich in der industriellen Revolution ihren Teil vom Wohlstand hat erarbeiten können, immer kürzer gehalten. Real sinken die Löhne seit Jahrzehnten, wie Untersuchungen der OECD bestätigen. Zwischen 1970 und 2014 sank der Anteil der Arbeitnehmer an der Wertschöpfung in ihren Volkswirtschaften. Bei den US-Arbeitnehmern um 10 Prozent und in UK etwa um 6 Prozent.
Das liegt natürlich nicht an Facebook, sondern an die Weichenstellungen in der Wirtschaftspolitik von Ronald Reagan und Margaret Thatcher und im Erbe der neo-liberalen Wirtschaftspolitik der nachfolgenden Regierungen, die sich in der Entfesselung der freien Marktkräfte überbieten wollen. Globalisierung, immer schneller. Einmal nicht aufgepasst, schon ist wieder etwas de-reguliert und privatisiert. Unsere Gesellschaften steuern wieder auf ungleiche Verhältnisse zu wie in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Da wäre es doch schön, wenn man es über Soziale Netze teilen könnte…
… und dann stellt sich die Frage, wie sich trotz der messianischen Botschaft des Silicon Valley, die Welt zusammenzuführen und die Macht zu dezentralisieren, die Technologie, die uns eigentlich vernetzen soll, durch die Konzentration in den Rechenzentren von Google und Facebook doch nur ein Erfolgsmodell für die wenigen bleibt, die beizeiten ihre Anteile gekauft haben an den Startups, die unsere Daten gegen uns benutzen und uns auch noch dafür bezahlen lassen.
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