Finanzen am Fucking Friday. Am 15. November 2023 erklärt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) den zweiten Nachtragshaushalt 2021 für nichtig. Auf Antrag der CDU-Fraktion im Bundestag unter der Leitung von Friedrich Merz (CDU) ergeht folgendes Urteil:
Artikel 1 und Artikel 2 des Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2021 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021) vom 18. Februar 2022 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 194) sind mit Artikel 109 Absatz 3, Artikel 110 Absatz 2 Satz 1 sowie Artikel 115 Absatz 2 Grundgesetz unvereinbar und nichtig.
Dieses Urteil schränkt die Handlungsfähigkeit des Staates massiv ein. Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass der Bund zur Bekämpfung der Corona-Krise gedachte Gelder nicht für den Klimaschutz nutzen darf. Es gehe um die Wirksamkeit der Schuldenbremse, sagte die Vorsitzende Richterin des Zweiten Senats, Doris König, bei der Verkündung. Die Unionsfraktion im Bundestag hat damit erfolgreich gegen das Umschichten geklagt.
Das Umgehen der Schuldenbremse geht auf Olaf Scholz (SPD) zurück. Zusammen mit dem Staatssekretär Werner Gatzer (SPD) im Bundesfinanzministerium entsteht noch unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Idee, auf Corona mit Sondervermögen zu antworten. Inzwischen selbst Bundeskanzler bleibt die Idee vom Doppelwumms bei der Zeitenwende (100 Milliarden für eine Bundeswehr, die schon mit 50 Milliarden überfordert ist) und für alle anderen aktuellen Krisen und Probleme.
Wir haben sorgfältig beraten, was wir tun können. Wir haben uns um eine verfassungsgemäße Lösung bemüht und die auch miteinander diskutiert: schon während der Beratungen zur Regierungsbildung und dann natürlich auch im Zusammenhang mit der Aufstellung des entsprechenden Nachtragshaushaltes.
[ Olaf Scholz, Bundeskanzler (SPD) ]
Unter Gatzer wurde im Finanzministerium allerdings auch das Vorhaben vorbereitet, 60 Milliarden Euro ungenutzter Corona-Kredite an den Klimafonds zu übertragen. Im Finanzministerium war das vorab geprüft und für praktikabel befunden worden.
Aber schon im August 2023 formuliert der Bundesrechnungshof in seinem Beratungsbericht an das Bundesministerium der Finanzen:
Sondervermögen haben in der Haushaltswirtschaft des Bundes eine große finanzielle Bedeutung. Der finanzielle Umfang der bestehenden größeren Sondervermögen beträgt insgesamt rund 869 Mrd. Euro. Ihr am 31. Dezember 2022 noch vorhandenes Verschuldungspotenzial lag mit rund 522 Mrd. Euro bei etwa dem Fünffachen der im Finanzplanungszeitraum 2023 bis 2027 ausgewiesenen Kreditaufnahme. Der Bundesrechnungshof ist der Auffassung, dass an die Errichtung aber auch die Weiterführung von Sondervermögen als budgetflüchtige Einrichtungen ein restriktiver Maßstab anzulegen ist.
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Um die Folgen der Entkernung des Bundeshaushalts zu beseitigen, müssten vor allem die großen Sondervermögen, wie insbesondere der Klima- und Transformationsfonds, auf ihre Eignung und Erforderlichkeit überprüft werden, rät der Bundesrechnungshof. Das Bundesverfassungsgericht folgt dieser Empfehlung.
Die Bundesregierung sieht es nach dem Urteil aber doch anders:
Sondervermögen sind neben dem Kernhaushalt ein wichtiges Instrument zur Erfüllung einzelner Aufgaben des Bundes. Sie haben in vielerlei Hinsicht Vorteile: Sie erhöhen die Transparenz, schaffen Planungssicherheit und sorgen dafür, dass Mittel über längere Zeiträume verfügbar sind. Die Möglichkeit zur Schaffung von Sondervermögen ist im Grundgesetz explizit vorgesehen. Sie müssen in jedem Einzelfall gerechtfertigt und besonders begründet sein.
[ Bundeshaushalt: Wie geht es weiter? [FAQ] ]
Neben dem regulären Haushalt von 476,3 Milliarden stehen insgesamt rund 869 Milliarden – alleine für die aktuell bestehenden größeren Sondervermögen. Allerdings ist nur rund ein Zehntel der größeren Sondervermögen werthaltig. Der weit überwiegende Teil ist kreditfinanziert. Das Verschuldungspotenzial der Sondervermögen lag Ende 2022 bei insgesamt rund 522 Milliarden Euro. Das ist das rund Fünffache der im Finanzplanungszeitraum 2023 bis 2027 ausgewiesenen Kreditaufnahme.
Sondervermögen sind also größtenteils entweder ausgelagerte Schuldentöpfe oder sie hängen finanziell am „Tropf“ des kreditfinanzierten Bundeshaushaltes. In der Gesamtschau ist es deshalb zutreffender, von „Sonderschulden“ als von Sondervermögen zu sprechen. Die tatsächliche Nettokreditaufnahme ist unter Einbeziehung der Sondervermögen demnach auch deutlich höher als die im Bundeshaushalt ausgewiesene Nettokreditaufnahme.
Unter Einbeziehung der Sondervermögen steigt die Nettokreditaufnahme im Jahr 2023 von 45,6 Milliarden um 147,2 auf insgesamt 192,8 Milliarden. Demnach beträgt der Haushalt auch nicht 476 sondern 623,5 Milliarden Euro (476,3 plus 147,2) – also rund 31 Prozent mehr. In der Gesamtschau wird die Schuldenbremse – seit 2009 im Grundgesetz – alles andere als eingehalten, sondern in ihrer Wirksamkeit ausgebremst. Das gilt für die Bundeswehr (100 Milliarden) wie für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds in der Energiekrise (WSF: 200 Milliarden) und den Klima- und Transformationsfond (KTF: 60 Milliarden).
Die Schuldenbremse basiert auf der wissenschaftlich bereits 2013 widerlegten Annahme, bei Staatschuldenquoten von mehr als 90 Prozent leide das Wachstum. Sie stammt von zwei amerikanischen Star-Forschern aus Harvard: Kenneth Rogoff, ehemaliger Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), und Carmen Reinhart [ spiegel.de ].
In diesem Setting ist die Schuldenbremse auf Jahre nicht einzuhalten. Besser wäre es, die Schuldenbremse zu reformieren, was angesichts der Konfrontation der Opposition (CDU, AfD) zur regierenden Ampel (SPD, Grüne, FDP) schwierig wird. Denn selbst in der Koalition stehen die Position im Widerspruch zwischen dem Finanzminister Lindner (Schulden von heute sind Steuern von morgen) und Grünen-Vorsitzender Lang (Ausbleibende Investitionen sind die Schulden von morgen).
Zwischen den Jusos (Schuldenbremse muss weg) und Friedrich Merz (Schuldenbremse gilt immer) wird auch die Union (CDU/CSU) einsehen müssen, dass die neu ausgelegte Schuldenbremse nicht mehr einem modernen Staatswesen entspricht und reformiert gehört. Jetzt kommt Markus Söder (CSU) aus dem Süden ins Spiel. Er hat ein Gefühl für die Schwäche von anderen – in dem Fall von Friedrich Merz. Nur der frisch gewählte Söder, Markus, hat die Kraft, die Union bereit zu machen für eine Reform der Schuldenbremse.
Denn das Urteil vom Bundesverfassungsgericht trägt mehr noch als die Schuldenbremse vor allem ordentliche Haushaltsführung auf – ohne Schulden auf Vorrat und mit Transparenz.
Sparen im Sozial-Etat – wie etwa Merz (CDU) und Lindner (FDP) es fordern – wird nicht möglich sein. Die Erhöhung des Bürgergeldes für 2024 geht ebenfalls auf ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht zurück, nach dem das absolute Existenzminimum zu garantieren ist. Hätte Hubertus Heil (SPD) das europäische Mindestlohngesetz bereits in nationales Recht überführt, müssten Mindestlohn und Bürgergeld noch höher sein.
Eine Streichung der Kindergrundsicherung ist ebenfalls reiner Populismus, denn die Kindergrundsicherung wird erst 2025 im Bundeshaushalt relevant.
Bei den Ausgaben bleiben 70 Milliarden klima-schädlicher Subventionen von Diesel bis Dienstwagen fraglich, denn auch dies ist ein Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes, das zur Sicherung der Freiheit künftiger Generationen mehr Klimaschutz angemahnt hat.
Und dann gibt es noch neue Einnahme-Möglichkeiten für den Staat, die jedoch der kleinste Partner in der Koalition verteufelt: Steuererhöhungen für Reiche – etwa so Einkommensmillionäre wie Werner Gatzer (SPD), der seit September 2022 auch dem Aufsichtsrat der Deutschen Bahn vorsitzt, und dem wir – zusammen mit Doppel-Wumms-Kanzler Olaf Scholz (SPD) diese Misere zu verdanken haben.
[ bundeshaushalt.de ]